Vortrag Seelsorge & Krisenintervention

Volles Haus erfreute am 10. Feb. 2014 die Abteilung Gerstetten, auf deren Einladung hin Rolf Wachter, Pfarrer in Heuchlingen und Heldenfingen und Notfallseelsorger im Landkreis Heidenheim, einen Vortrag zum Thema „Notfallseelsorge und Krisenintervention“ hielt. Zahlreiche Kameraden aus allen Abteilungen der Gesamtwehr waren erschienen, um alleine schon mit der Anwesenheit das große Interesse an diesem Thema zum Ausdruck zu bringen.

Pfarrer Wachter ist seit 2008 im Pfarramt für Heuchlingen und Heldenfingen eingesetzt und engagiert sich seit 2005 im Bereich der Notfallseelsorge. Diese Seelsorge wird im Landkreis Heidenheim durch die Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale Notfallversorgung, kurz „PSNV“ im Landkreis betrieben und besteht aus 25-30 ehrenamtlichen Mitarbeitern und zahlreichen Pfarrern, Diakonen und weiteren hauptberuflichen Kräften, zu denen auch Wachter zählt.

Zugunglück Eschede
Zugunglück Eschede
Quelle: Wikipedia

Die Notfallseelsorge hat anders als andere Rettungsorganisationen ihre Wurzeln in der jüngsten Geschichte. Namenhafte Beispiele, welche die Notwendigkeit einer solchen Institution unterstreichen, sind das Zugunglück in Eschede am 3. Juni 1998 oder das Unglück während der Flugzeugschau in Ramstein am 28. August 1988. So waren in Eschede rund 2000 Kräfte im Einsatz, wovon in den 2 Folgejahren des Unglücks 13 Menschen Selbstmord begingen.

Die Organisation der Notfallseelsorge ist im Gegensatz zu Feuerwehr und Rettungsdienst nicht flächendeckend geregelt. Eine Landkreisgrenze gilt hier auch als Grenze einer einheitlichen Organisation. Dies mache es bei übergreifenden Aufgaben oft nicht einfach.

Zum Einsatz kommen die Kräfte auf Anforderung. So können beispielsweise Einsatzleiter von Rettungsdienst, Feuerwehr oder Polizei über die Leitstelle einen Seelsorger zur Einsatzstelle nachfordern. Ein Bereitschaftshabender wird dann per „Piepser“ alarmiert und kommt zur Einsatzstelle – allerdings ohne Sondersignal. Die Gründe für einen Einsatz sind sehr vielseitig, Beispiele hierfür sind Unterstützung bei der Überbringung einer Todesnachricht, Suizide oder plötzliche Todesfälle. „Die Seelsorger können bleiben und zuhören, während die Einsatzkräfte weiter müssen.“
An größeren Einsatzstellen gibt sich der Seelsorger mit der mittlerweile standardisierten Funktionsweste in der Farbe Lila zu erkennen. „Im laufenden Einsatz“, so berichtete Pfarrer Wachter, „wird in der Regel nie direkt eingegriffen. Die Einsatzkräfte müssen sich auf ihre jeweilige Aufgabe konzentrieren können, wir arbeiten mit den Menschen wenn der Einsatz abgeschlossen ist“.

In seinem Vortrag gab uns Pfarrer Wachter Aufschluss was die Auslöser, die sogenannten „Stressoren“ sein können, welche Reaktionen diese bei uns hervorrufen können und warum jede Situation einzeln zu bewerten ist und je Mensch und „Tagesform“ anders sein kann. Als wirklich anschauliches Beispiel gab der Pfarrer uns an, dass ihm am Sonntag Nachmittag das Geschrei und Getrampel der spielenden Kinder nichts ausmache, während er gemütlich auf dem Sofa sitzt. Genau das gleiche Geschrei und Getrampel löse aber sofort Stress aus wenn er zum Vortrag zur Feuerwehr gehen muss, er seit 5 Minuten schon auf dem Weg sein sollte und noch nicht alle Folien der Präsentation fertig seien.

Die Kunst mit dem Stress sei es, wie man damit umgeht. Weiß ich was ich tun muss, habe ich alle Mittel verfügbar, war ich bereits mal in dieser oder einer ähnlichen Situation und habe diese lösen können? Diese Fragen wirft man unterbewusst auf bei aufkommendem Stress. Stress kann förderlich sein für uns, da wir damit teilweise ungeahnte Kräfte mobilisieren können und unsere Sinne schärfer sind als normal. Hier spricht der Fachmann vom „Enstress“. Je länger der Stressor auf uns Einfluss hat und uns stresst, aber auch abhängig von der Intensität, kann dies aber auch zur Überforderung bis hin zur Machtlosigkeit führen. Hier spricht man dann vom „Disstress“. Symptome für diesen wären beispielsweise Angstgefühle.
Eine Musterlösung für das sogenannte „Stressmanagement“, also der Umgang mit Stress, gibt es wie man sicherlich vermuten kann nicht. Je nach Persönlichkeit und der Situation kann man aber sagen, dass man durch die Arbeit an sich selbst dem Stressor den Wind aus den Segeln nimmt. So kann sich jeder im Vorfeld Gedanken machen was zu tun ist wenn eine bestimmte Situation eintritt. Tritt diese dann tatsächlich ein hat man sicherlich eher das Gefühl dafür gerüstet zu sein als ohne diesen „Masterplan“. Ein anderer Weg ist die schlichte Reduzierung der Stressoren, d.h. man kommt weniger häufig in die Situation getresst zu werden. Wenn beides nicht hilft kann es dem einen oder anderen auch helfen mal tief durchzuatmen oder andere „Rituale“ durchzuführen. Auch dies baut Stress ab und macht den Kopf wieder frei.
Die Seelsorgearbeit ist ein Angebot mit dem Stress fertig zu werden, damit dieser nicht zum dauerhaften Problem für die Menschen wird.

Statistisch gesehen sind jährlich 4,5 Mio. Menschen in der Bundesrepublik Deutschland gefährdet ein Trauma durch die Geschehnisse zu erleiden. Diese Zahl beschränkt sich nicht auf die Einsatzkräfte, sondern jeder Bürger in der BRD ist darin einbezogen.
Rund 64% dieser Gefährdeten resultieren aus Verkehrsunfällen, 25% aus Straftaten deren Opfer oder Zeuge man geworden ist, 10% aus Arbeitsunfällen und 1% aus Großschadenslagen.
Eine weitere Statistik besagt, dass rund 90% aller Einsatzkräfte mindestens 1 Erlebnis hatten, welches eine unmittelbare Gefährdung für die Menschen bedeutet. Diese sehr hohe Zahl begründet sich darin, dass jeder „normale“ Mensch versucht sich einer Stresssituation zu entziehen, während Einsatzkräfte hingegen in diese hineingehen um Hilfe zu leisten.

Tatsächlich sei es so, dass 2/3 aller Betroffenen das Erlebte alleine, d.h. ohne geschultes Personal, binnen 5-10 Tagen verarbeiten können. Einfache Gespräche unter Freunden, Kameraden oder Kollegen in den ersten beiden Tagen reduzieren das Risiko eines Traumas erheblich.
Für 1/3 reiche dies leider nicht mehr aus, wodurch 85% der Traumatisierungen dieses Drittels sich chronifizieren. Um also das Risiko zu reduzieren sei es nach jedem schwereren Einsatz ratsam sich hinterher hinzusetzen und das Erlebte im gemeinsamen Gespräch zu verarbeiten.
Bei einigen Menschen tritt ein Trauma allerdings auch verzögert auf, so Wachter. Als Beispiel brachte er hier an, dass Jahre nach dem Krieg eine Fehlzündung seines Autos einen Frontsoldaten in ein Trauma stürzen könnte, da er vielleicht im Jahre zurückliegenden Krieg eine Granatenexplosion überlebt habe und diese nicht verarbeitet, sondern verdrängt habe. Erst dieser „Déjà-Vû“-Effekt habe das Trauma dann tatsächlich hervorgebracht. Auch hier gilt es ein Augenmerk auf die Einsatzkräfte zu haben.

Die nach dem Vortrag entstandene Diskussion im kleinen Rahmen zeige die Notwendigkeit hier die Arbeit aufzunehmen und auch in Gerstetten entsprechende Konzepte gemeinsam mit der Notfallseelsorge zu erarbeiten und zu etablieren.

Wir danken Pfarrer Rolf Wachter für diesen tollen und informativen Vortag, hoffen aber gleichzeitig auch ihn nie im Dienst erleben zu müssen!